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Wie sieht aktuell das Investitionsklima innerhalb der Startup-Szene in Deutschland und Israel aus?

Im Interview mit Philipp Weber, Partner bei der Wirtschaftskanzlei FPS Fritze Wicke Seelig und Lisya Bahar, Senior Partnerin bei Catalyst Funds wollten wir wissen, wie es aktuell um die Investitionslaune in Deutschland und Israel bestellt ist und ob derzeit noch in High-Tech investiert wird beziehungsweise wie groß oder klein die aktuellen “Tickets” sind.

GRUENE-STARTUPS.de: Wie geht die israelische Tech-Szene mit der makro-ökonomischen Situation um?

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LISYA BAHAR: Politische und wirtschaftliche Krisen waren in Israel in den letzten zehn Jahren an der Tagesordnung. Wir befinden uns in einem Bärenmarkt, und wie die Geschichte zeigt, neigen die privaten Märkte dazu, ähnlichen Trends zu folgen. Die israelische Tech-Szene bildet da keine Ausnahme, und wir haben erhebliche Marktanpassungen mit stark sinkenden Bewertungen und einem geringeren Zugang zu Kapital im Vergleich zum letzten Jahr erlebt. Wir beobachten, dass unsere Portfoliounternehmen ihre Strategien anpassen, um bestimmten Geschäftsbereichen Priorität einzuräumen und die laufenden Kosten zu senken. Für viele Unternehmen geht es darum, ein Gleichgewicht zwischen dem Wachstum des Unternehmens und der größtmöglichen Verlängerung der Cash-Runrate zu finden.

Wie beurteilen Sie aktuell das Investitionsklima innerhalb der Startup-Szene in Deutschland und Israel?

LISYA BAHAR: Investoren sind aktuell relativ vorsichtig. Sowohl deutsche als auch israelische Start-ups haben im Jahr 2022 einen Rückgang der Investitionen um 20-30 % erlebt. Was die Bewertung angeht, so befinden wir uns heute in einer besonderen Phase: 14 Jahre nach der Finanzkrise sehen wir auf den Finanzmärkten starke Anpassungen der Unternehmensbewertungen. Für uns als Investoren ist das jedoch eine Chance, da wir jetzt in der Lage sind, in großartige Technologieunternehmen zu angemessenen Bewertungen einzusteigen. Es ist wichtig, die Besonderheiten des israelischen Ökosystems sowie die Hauptmerkmale israelischer Unternehmen zu verstehen.

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Wie sieht die Erfahrung eines M&A-Spezialisten im Fintech und Finance-Bereich aus?

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PHILIPP WEBER: Zeiten steigender Zinsen und globaler politischer Unsicherheiten haben eine negative Auswirkung auf die Bewertung von reiferen Wachstumsunternehmen und auf die Kapitalmärkte. Wir beobachten einen starken Rückgang von IPOs als Exit-Kanal und dieser Trend wird auch noch anhalten. Somit wird im nächsten Jahr der Schwerpunkt auf nicht-öffentlichen M&A Prozessen liegen. Gerade fallende Bewertungen bieten Käufern hier zum einen gute Einstiegschancen und zum anderen dürften aufgrund des schwierigeren Zugangs zu spätphasigem Risikokapital mehr reife Wachstumsunternehmen zum Verkauf gestellt werden. Nach einem Rekordjahr 2021 ist das Volumen von FinTech Finanzierungsrunden stark zurückgegangen. Das betrifft insbesondere großvolumige Finanzierungsrunden. Nichts desto trotz wird auch in Zukunft viel Risikokapital in den FinTech Sektor und insbesondere in InsurTech, PropTech und ESG-Themen fließen.

Wird derzeit noch in High-Tech investiert und wenn ja, in welche Technik?

LISYA BAHAR: Catalyst Funds wurde 1999 gegründet; wir haben u.a. die Dot.com-Blase, die Finanzkrise 2008 und andere erlebt.  Im Laufe der Jahre haben uns darauf spezialisiert, Anlagestrategien entwickeln können, die von solchen Marktbedingungen profitieren. Vor diesem Hintergrund haben wir uns entschlossen, unser Investitionstempo zu verlangsamen, um von den Bewertungsanpassungen, die wir am Markt beobachten, zu profitieren.  Derzeit müssen wir den Schwerpunkt stärker auf Investitionen in Unternehmen legen, die über genügend Barmittel verfügen, um einen positiven Cashflow zu erzielen, oder die zumindest eine Mindestlaufzeit von drei Jahren haben.

Dennoch ist es in unserem Geschäftsfeld natürlich wichtig, langfristig zu denken. Daher suchen wir nach Hightech-Unternehmen mit intrinsischem Wert. Wir versuchen uns deswegen besonders auf die Produktseite, Erträge und echte Wachstumschancen zu konzentrieren. Unternehmen, die von Grund auf stark sind, werden sich letztendlich leicht erholen.

Welche Tickets sind momentan noch möglich?

PHILIPP WEBER: Wie von Lisya bereits zuvor erläutert,

raten nach unserer Marktbeobachtung nahezu alle Investoren ihren Portfoliounternehmen dazu, ihre Ausgaben zu kürzen und ihre Cash-Runrate zu verlängern. Im frühphasigen Bereich ist immer noch sehr viel Geld im Markt vorhanden und wir sehen die dort üblichen Ticketgrößen; für Deutschland von Euro 0,5 bis 6 Millionen. Im Übrigen wird es mehr interne Finanzierungsrunden oder Brückenfinanzierungen geben; oftmals unter dem Einsatz von Wandeldarlehen. Hier richtet sich die Ticketgröße schlicht nach dem aktuellen Kapitalbedarf des Start-ups bis zur nächsten möglichen externen Finanzierungsrunde oder dem Abschluss eines Verkaufsprozesses.

In welchen Märkten und in welchen Investitionsphasen ist die Krise derzeit noch nicht angekommen

LISYA BAHAR: Ein Blick auf die aktuelle Marktsituation zeigt, dass die Finanzierungen in den meisten Sektoren rückläufig sind, nur der Energiesektor verzeichnet einen positiven Anstieg, wenn wir dieses Quartal mit dem Letzten vergleichen. Derzeit sind die Auswirkungen auf die Frühphaseninvestitionen weltweit geringer – die Finanzierungen der Serie A gingen im Jahresvergleich um 23 % zurück, während die Finanzierungen der Serie B im gleichen Zeitraum um 54 % sanken. Wir können feststellen, dass die Anpassung an die öffentlichen Märkte bei Unternehmen in der Spätphase aufgrund der Multiplikatoren und der Konkurrenz zu den öffentlichen Märkten viel früher erfolgt, während Unternehmen in der Frühphase ihre Bewertungen noch nicht an den aktuellen öffentlichen Markt angepasst haben.

Was fehlt der deutschen Startup-Szene was die israelische hat?

LISYA BAHAR: Wir glauben, dass beide Kulturen starke Merkmale haben, die sich gut ergänzen. Im Gegensatz zur deutschen Bewertung von Risiko und Ungewissheit sehen wir in Israel das Scheitern als Chance, und es wird in der Gesellschaft akzeptiert. Was uns kulturell besonders macht, ist besonders ein Faktor: Wir sprechen von “Chutzpah”, einem Sinn für Kühnheit, was einer der Gründe ist, warum die israelische Start-up-Szene so erfolgreich ist. Auf der anderen Seite kann Israel von der Effizienz und der strukturellen Denkweise in Deutschland lernen.

Wie entwickeln sich öffentliche Aufträge gegenüber dem privaten Sektor in Deutschland?

PHILIPP WEBER: Der öffentliche Sektor als Kunde bietet noch viele ungenutzte Chancen für innovative Start-ups in Deutschland. Zum Beispiel gibt e in den Bereichen Digitalisierung, Erneuerbare Energien und Infrastruktur, Cyber Security und Verteidigungstechnik einen großen Nachholbedarf und Investitionsbedarf auf der Seite des Staates. Natürlich sind öffentliche Vergabeverfahren und Vergabekriterien hierbei eine Herausforderung für junge Unternehmen. Jedoch gibt es zum einen viele Initiativen, um Start-ups die Teilnahme an Ausschreibungen zu erleichtern und zum anderen können Start-ups durch die Zusammenarbeit mit Ausschreibungsexperten etwaige Stolpersteine umgehen. Als Orientierungshilfe haben meine FPS Kollegen:innen zusammen mit dem Bundesverband Deutsche Start-ups e.v. hierzu den Leitfaden „Vergaberecht für Start-Ups“ herausgegeben.

Über die Autoren:

Rechtsanwalt Philipp Weber ist Partner bei der Wirtschaftskanzlei FPS Fritze Wicke Seelig und ein erfahrener Corporate- und M&A-Anwalt mit Expertise im Banken-, Technologie-, Private-Equity- und Venture-Capital-Umfeld. Er berät auch zum Aufsichtsrecht sowie zu Unternehmens- und Kreditportfoliotransaktionen in der Finanzbranche.

 

Lisya Bahar Manoah ist General Partner bei Catalyst Funds und investiert in diversifizierte High-Tech Unternehmen. Sie verfügt über mehr als 15 Jahre Investitions- und Managementerfahrung in der Private-Equity-Branche sowie bei weltweit führenden Unternehmen, insbesondere im Zusammenhang mit M&A-Transaktionen, Post-Merger-Integration und Kapitalbeschaffung.

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