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Quartiermeister- Bier trinken und Gutes tun

INTERVIEW | Quartiermeister versteht sich als Social Business und fördert soziale Projekte im Kiez. Wie das genau aussieht erfahren wir im Interview mit Quartiermeister. Bier trinken und gleichzeitig Gutes tun, klingt doch ganz spannend…

31.08.2018- Das Interview führte Maike Merrem

Gruene-Startups.de: Quartiermeister versteht sich als Social Business. Was kann man sich darunter vorstellen?

Quartiermeister: Quartiermeister hat es sich zur Aufgabe gemacht, für das Gemeinwohl zu wirtschaften. Im Vordergrund stehen also in erster Linie keine monetären Beweggründe, sondern die Idee mithilfe eines eigenen Wirtschaftsmodells etwas Gutes für die Gesellschaft zu tun. Social Business können als besondere Form von Social Entrepreneurship beschrieben werden. Im Vergleich dazu, sind Sozialunternehmen jedoch nicht von Spenden abhängig, sondern tragen sich wirtschaftlich selbst. Wir verstehen unser Social Business im Sinne des Nobelpreisträgers Mohammed Yunus und sind große Verfechter der Gemeinwohlökonomie.
Konkret auf unser Unternehmen bezogen heißt das: Wir verkaufen Bier und fördern mit den Erlösen soziale & kulturelle Projekte in unmittelbarer Umgebung. Unser Bier ist dabei nur Mittel zum Zweck, dass den Konsum mit einem gesellschaftlichen Mehrwert verknüpft. Im Vergleich zu anderen Sozialunternehmen fördern wir nicht mit dem, was am Ende des Jahres übrig bleibt, sondern haben die Förderung fest an den Verkauf des Bieres geknüpft. 10Cent pro Liter fließen regulär in unseren Fördertopf.

Wer steckt hinter Quartiermeister und wie ist die Idee geboren?

Geschäftsführung, © Quartiermeister

Unser Gründer Sebastian hatte 2010 die Idee zu Quartiermeister. Er war auf der Suche nach einem Konzept, das soziales Engagement so einfach wie möglich macht, ohne mehr Zeit oder Geld dafür aufwenden zu müssen. An einem Kneipenabend mit Freund*innen stieß er auf das Produkt Bier. Bier konsumiert man oft mit Freund*innen, es ist ein soziales Produkt, man unterhält sich gern darüber und es ist mit Emotionen aufgeladen. Bier trinken, Spaß haben und gleichzeitig etwas Gutes für die Nachbarschaft tun – es kann so einfach sein. Daraufhin suchte Sebastian eine Partnerbrauerei und vertrieb das Bier mithilfe des ehrenamtlichen Quartiermeister e.V. an die lokale Gastronomie in Kreuzkölln. Nach 2 Jahren ging die Brauerei allerdings insolvent und Peter und David, die jetzigen Geschäftsführer (und damaligen Vorstandsmitglieder) wagten einen Neuanfang, als soziales Unternehmen und mit der neuen Brauerei in Wittichenau. Seit 2012 existiert das Unternehmen parallel zum Verein. Während das Unternehmen für den Verkauf & die Vermarktung des Bieres zuständig ist, kümmert sich der Verein um die Projektförderung und die Kontrolle der GmbH. Mittlerweile arbeiten 12 Angestellte für das Unternehmen und ca. 50 Menschen sind in Berlin, Leipzig, Dresden und München ehrenamtlich für korrekten Konsum aktiv. Dieses Wachstum nahm die letzten Jahre gehörig an Fahrt auf, wobei wir nie Investitionen von externen Mittelgebern oder Shareholdern angenommen haben. Das ist recht einzigartig.

Was ist das Besondere an den Bieren von Quartiermeister?
Sie schmecken nicht nur gut, sind handwerklich, regional und teilweise in Bioqualität gebraut, sondern krönen ihren Geschmack noch mit einer sozialen Note. Dabei kostet Quartiermeister nicht einmal mehr, als die konventionellen Fernsehbiere. Unser Ziel ist eine gerechte Wirtschaft, die für den Menschen da ist. Damit wir dieses Ziel stets vor Augen halten, haben wir eigens gesteckte Prinzipien festgelegt. Neben unserem Fördermodell wollen wir 100% unabhängig & transparent wirtschaften. Jede*r kann online einsehen, wieviel wir pro Quartal eingenommen & ausgegeben haben. Gleichzeitig setzen wir auf eine regionale Wertschöpfung und vertreiben das Bier nicht weiter als 300km im Umfeld der Brauerei. Und letztendlich ist eines unserer wichtigsten Prinzipien die Partizipation.
Unsere Konsument*innen können nicht nur für den guten Zweck trinken, sondern direkt mitentscheiden, wohin der Erlös ihres Konsums fließt. In Berlin finden das ganze Jahr über Onlineabstimmungen statt.

Ihr fördert mit dem Verkauf des Bieres regionale Projekte im Kiez. Wie sehen solche Projekte beispielhaft aus?
Wir fördern Projekte die sich solidarisch für das Gemeinwohl in ihrer Nachbarschaft einsetzen und dabei möglichst partizipativ, sozial und empowernd wirken. Das kann eine Selbsthilfewerkstatt sein, der Nachbarschaftsgarten nebenan, ein Windrad auf dem Tempelhofer Feld. Wir fördern allerdings auch politische Projekte wie die Spree:public die sich für einen nichtkommerziellen Hafen auf der Spree einsetzt, oder das Festival Offenes Neukölln, das ein Zeichen gegen die rassistischen Überfälle der letzten Jahre setzt. Mittlerweile haben wir schon über 100 Projekte gefördert. Die Bandbreite ist dabei wirklich sehr groß. Unsere Finanzierung war dabei nicht selten die kleine Startfinanzspritze, aus der sich etwas Größeres entwickelt hat.

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Viele Spendengelder von großen Organisationen werden im Ausland eingesetzt. Wieso ist es wichtig, auch die vermeintlich kleinen Probleme vor Ort durch Spenden zu finanzieren?
In einer Stadt wie Berlin leben die unterschiedlichsten Leute nebeneinander (her). Der nichtkommerzielle Freiraum wird dabei immer kleiner, die Anonymität steigt. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, genau die Menschen zu unterstützen, die sich für den Zusammenhalt in ihrer Nachbarschaft stark machen und in Zeiten von Gentrifizierung und Kommerzialisierung Verantwortung für ihre Umgebung übernehmen. Viele Sozialunternehmen versuchen mit ihrem Modell, die Bedingungen an ihrem Produktionsort zu verbessern. Wir denken darüber hinaus. Wir wollen dort einen Impact schaffen, wo konsumiert wird, fernab von „Saufen für den Regenwald“. Ein Impact der tatsächlich direkt um die Ecke ersichtlich ist. Einen Einfluss auf die Produktionsbedingungen haben wir trotzdem. Unsere Brauerei bezieht mittlerweile Strom aus 100% Wasserenergie und ließ sich 2015 für uns biozertifizieren.

Entstanden ist Quartiermeister in Berlin. Wo kann das Bier ansonsten genossen werden?
Neben Berlin gibt es unsere Biere bereits in einigen Städten Ostdeutschlands, wie Dresden, Leipzig, Görlitz, oder Halle. Außerdem kooperieren wir mit einer weiteren Brauerei in Süddeutschland bei München, das passend zum regionalen Geschmack ein Helles, sowie ein kaltgehopftes Bio-Helles für uns herstellt. Damit wollen wir zukünftig auch den kompletten Süden Deutschlands abdecken. Unser großes Ziel ist es Quartiermeister in ganz Deutschland verfügbar zu machen, sodass weitere Städte & lokale Projekte von unserer Förderung profitieren. Gerade sind wir auf der Suche nach einer dritten Brauerei im Westen/Norden.

Kann sich Biertrinken als das „neue“ Spenden etablieren?
Genau mit dieser Frage beschäftigt sich eine ehemalige Praktikantin gerade – ihre Ergebnisse stehen allerdings noch nicht fest. Die Verbindung von Alkohol und sozialem Engagement sehen auch wir nicht unkritisch. Theoretisch kann sich das Modell „Spenden beim Konsum“ jedoch auf alle möglichen Produkte unseres täglichen Lebens übertragen lassen. Auch Quartiermeister muss zukünftig nicht zwangsläufig Bier sein. Das Gute an diesem „Spendenmodell“ ist, dass der Spendende nicht selbst aktiv werden muss, sondern das Engagement ganz nebenbei passiert. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass immer mehr Entrepeneurs in diese Richtung denken und eine gerechte Wirtschaft etablieren wollen. Reguläre Spendenmodelle wird der „Korrekte Konsum“ nicht ersetzen und soll er auch gar nicht. Wirkliche Reichweite wird er auch erst erzeugen, wenn die Politik dieses wirtschaftliche Engagement unterstützt & fördert. Mittlerweile gibt es Send e.V., einen Verein der die Interessen aller Social Entrepreneurs vertritt. Erstmalig steht die Förderung von Social Entrepreneurs im Koalitionsvertrag. Die Branche ist also in Bewegung. 

Wie setzt sich Quartiermeister gegen den Sexismus in der Bierbranche/ Bierwerbung ein und wie wichtig ist es, dadurch ALLE anzusprechen?
2017 haben wir die Quartiermeister*in Kampagne unter dem Motto #gleichesbierfüralle gestartet. Zunächst stand die Idee im Raum, unsere Flaschen auch mit einer Quartiermeisterin zu bedrucken. Relativ schnell wurde aber deutlich, dass wir nicht nur das Logo ändern, sondern auch ein politisches Statement setzen wollen. Geschlechterklischees & Stereotypen in der Werbung, insbesondere in der Bierwerbung gehören immernoch zur Tagesordnung. Dazu wollten wir eine Diskussion anregen. Wann genau fängt Diskriminierung an? Wie kann ich mich gegen sexistische Werbung wehren? Zu diesem Thema haben wir einen Blog geschaltet, in dem viele Aktivist*innen u.a. von pinkstinks geschrieben haben und eine öffentliche Paneldiskussion organisiert. In gleichem Atemzuge haben wir alle Etiketten mit dem Gendersternchen versehen, sodass alle Quartiermeister*innen sein können, jenseits der starren Begrifflichkeiten von Mann und Frau. Quartiermeister agiert bewusst politisch und steht gegen jegliche Form der (Geschlechter)diskriminierung.

© Quartiermeister

Wir bedanken uns für das Interview!

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