HOLYCRAB! – wenn Plagen zur Delikatesse werden

Im Interview berichten die Gründer des Startups HOLYCRAB! wie sie mit invasiven Delikatessen die Berliner Gastronomie verändern.

Im Interview berichten Lukas Bosch und Juliane Bublitz, zwei der drei Gründer von HOLYCRAB! wie sie mit invasiven Delikatessen die Berliner Gastronomie verändern.

Welche Philosophie verfolgt ihr und wie lautet eure Mission?

Lukas Bosch & Juliane Bublitz (Gründer von HOLYCRAB!): Wir wollen es einfach machen vom Problem zum Potenzial zu kommen. Wer bei uns isst, sitzt nicht tatenlos herum, sondern kann selbst etwas Positives beitragen. Nachhaltigkeit ist derzeit in aller Munde, meistens jedoch mit erhobenem Zeigefinger. Die Menschheit fragt sich, was getan werden kann und steht in dieser Frage angesichts der überbordenden Komplexität schnell vor Herausforderungen, die nicht zu bewältigen scheinen. Die Komplexitätsforschung lehrt uns eines: „wicked problems“ brauchen einen Startpunkt, komplexe Probleme lösen sich nicht durch Masterpläne, sondern durch Experimente. Das Problem von rapide schrumpfender Biodiversität geht laut UN Bericht unter anderem auf invasive Arten zurück. Viele von diesen Arten sind essbar und HOLYCRAB! liefert den Startpunkt für die Lösung genau dieser komplexen Herausforderung – und das ohne Fingerzeig, sondern genussvoll. Nachhaltigkeit muss in Zukunft sexier sein, als herkömmliche Angebote, der Konsument muss als Bürger gesehen werden, der sich mit seiner Konsumentscheidung engagieren möchte, nur so schaffen wir es, den dringend nötigen Wandel beschleunigt herbeizuführen.

Was macht HOLYCRAB! als Startup besonders?

Wir beschäftigen uns mit Widersprüchen. HOLYCRAB! schafft den Perspektivwechsel — wir betrachten Probleme im Naturschutz als wirtschaftliche Ressource, die es gilt in Wert gesetzt zu werden. Das heißt, durch gute Verarbeitung dem intelligenten Konsum zuzuführen und die Probleme dadurch zu lösen. So gesehen liegen dort, wo es Widersprüche gibt, Chancen etwas wirklich neues zu erschaffen, denn dort wo Widersprüche bestehen, da war noch niemand. Um diese Chancen zu heben bedarf es einer neuen Perspektive und diesen Perspektivwechsel erlangen wir durch interdisziplinäre Blickwinkel: was machen eine Zukunftsforscherin, ein Unternehmensberater und ein Gourmetkoch mit einem Problem aus dem Naturschutz? Ein Geschäftsmodell, das Nachhaltigkeit mit Wirtschaftlichkeit, Zukunftsfähigkeit und kulinarischem Spitzenniveau vereint — vom Problem zum Potenzial.

Wie seid ihr auf die Geschäftsidee gekommen?

Die Antwort ist simpel: wir haben Zeitung gelesen. Im Mai 2018 wurden wir durch einen Artikel zum Roten Amerikanischen Sumpfkrebs in Berlin aufmerksam auf das Thema. Der Artikel beschrieb, dass eines der Grundprobleme mit invasiven Arten darin besteht, dass diese Arten in ihren neuen Wohnorten keine Fressfeinde vorfinden. In Berlin leben knapp 4 Millionen Menschen — selbst wenn wir die Vegetarier, Veganer und den Bruchteil der Bevölkerung, der an einer Schalen- und Krustentierallergie leidet, abziehen, kommen wir auf eine immer noch stattliche Anzahl von Fressfeinden.

Berlin Crab Roll, Pasta Frutti die Plage & Hauptstadt-Bouillabaisse

Dieser Gedanke hat sich bei uns festgesetzt und weil wir uns tagtäglich mit Innovation beschäftigen, lag es nahe, einen solch innovativen Ansatz anzugehen. Bereits erste Gespräche mit unserem Mitgründer Andreas Michelus haben das kulinarische Potenzial des Roten Amerikanischen Sumpfkrebses und zahlreicher weiterer Arten offengelegt. Es entstanden schnell Ideen für die Berlin Crab Roll, Pasta Frutti die Plage und unsere Hauptstadt-Bouillabaisse. Aktuell sind wir weltweit das wohl einzige Unternehmen, das invasive Arten konsequent in Form von Gastronomie, Produktentwicklung und Vertrieb einem kulinarischen Nutzen zuführt. Die politische Richtung ist dabei gesetzlich vorgegeben. Jedes Land hat die Aufgabe die Bestände schädlicher Arten zu „managen“. Wie sie das tun, ist vollkommen unterschiedlich. Von der Entsorgung in der Biogasanlage bis zur Verwendung als Tierfutter ist alles dabei – unserer Meinung nach liegt in dieser Art der Behandlung keinerlei Wertschätzung und das, obwohl wir Menschen selbst dafür verantwortlich sind, dass invasive Arten vorkommen, indem wir einerseits durch Welthandel und aus persönlichen ästhetischen Vorstellungen heraus (Zierpflanzen) bestimmte Arten von A nach B verpflanzen, andererseits durch Umweltverschmutzung Nischen im Ökosystem erst schaffen, in denen neue Arten sich ansiedeln können.

Wo kann man in den Genuss eurer Spezialitäten kommen?

Auf ausgewählten Street Food Märkten (Markthalle 9, Bite Club) sowie bei unseren nun anlaufenden Dinner Events, bei denen wir den Fokus auf die kulinarische Erforschung von invasiven Arten und ihrem kulinarischen Potenzial legen: jeder Gang bringt eine neue „Plage”. Darüberhinaus findet unser Ansatz großen Anklang in Caterings. Unternehmen reizt besonders der direkt greifbare Perspektivwechsel, ein Umdenken das nicht nur im Kopf verstanden, sondern auch über den Gaumen “erschmeckt” wird. Das ist aktuell wohl eine Botschaft, die viele an ihre Gäste weitergeben wollen.

Was waren und was sind die größten Herausforderungen auf dem bisherigen Weg?

Die Gastronomie hat einen sehr schlechten Ruf, was Arbeitskultur angeht, das haben wir – zumindest die zwei von uns, die nicht Gastronomen sind – vorher nicht so erwartet. Das macht es schwierig motivierte Mitarbeiter zu finden. Bei einem so frischen Produkt wie unserem liegen weitere Herausforderungen in der Sicherstellung einer geschlossenen Kühlkette sowie im Sourcing von Zutaten und der Logistik. Die sind beim Thema invasive Arten um ein Vielfaches komplizierter, denn wir gehen nicht einfach auf dem Großmarkt beliebige Mengen und mit endloser Auswahl einkaufen. So wird die Beschaffung recht kleinteilig und erfordert ein entsprechend hohes Maß an Kommunikation und Flexibilität.

Thema Naturschutz und invasive Arten kommunizieren

Ein weiteres Thema, über das auch schon viel gesagt wurde, was es aber immer wieder Wert ist, hervorgehoben zu werden, ist die in Deutschland verhältnismäßig geringe Zahlungsbereitschaft der Menschen für gute Lebensmittel. Wir glauben aber, dass sich das langsam verändern wird. Gesundheit und Zufriedenheit werden mehr und mehr über die Ernährung realisiert, das macht uns hoffnungsvoll. Zu guter Letzt kommt es für uns enorm darauf an, wie gut und verständlich wir zum Thema Naturschutz und invasive Arten kommunizieren. Kommunikation ist für uns einerseits ein Schlüsselthema, andererseits eine Herausforderung, denn wir wollen wissenschaftlich fundiert und trotzdem nahbar über Problem und Lösungsansatz sprechen. Dabei hilft es natürlich sehr, dass letzteres so lecker schmeckt!

Inwieweit spielt das Thema Nachhaltigkeit für euch eine Rolle?

Nachhaltigkeit ist das Rückgrat unserer Idee. Aber eine neue Art von Nachhaltigkeit, die nicht mit Abstrichen verbunden ist. Aktuell bedeutet ein nachhaltiges Leben für viele vor allem Verzicht: weniger Autofahren, nicht mehr Fliegen, weniger Fleisch essen. Zumindest im letzten Punkt wenden wir das Paradigma, denn bei uns führt mehr Konsum von tierischen Produkten zu einem größeren positiven Impact. Wenn alle Nachhaltigkeitsthemen so funktionieren würden, wäre das doch fantastisch, oder? Denn für uns Menschen ist es oft schwierig, zu verzichten. Auch, wenn viele positive Veränderungen in Zukunft wohl vor allem über ein „Weniger“ erreicht werden können, wollen wir Nachhaltigkeit als solche dennoch lustvoll machen und die negative Konnotation loswerden. Wir arbeiten an einem Nachhaltigkeitsdiskurs, der positiv wirkt und der sich von den Schuldgefühlen löst, die viele davon abhalten, sich zu engagieren.

Welche Trends und Entwicklungen in der grünen Gründerszene findet ihr aktuell besonders spannend?

Social und Green Startups hatten lange Zeit den Ruf, vor allem persönliche Ehrenämter zu schaffen. Mehr und mehr geht es inzwischen auch um wirtschaftliche Tragfähigkeit und das begrüßen wir sehr, denn eine Opposition zwischen Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit führt nur zum Stillstand. Auch in unserer Rolle als Zukunftsforscher und Berater helfen wir Unternehmen zu erkennen, dass nachhaltiges Verhalten ein Zukunftsthema und insbesondere auch ein Wirtschaftsfaktor ist. Es geht um eine marktfähige Symbiose, denn nicht nur Kundenbedürfnisse ändern sich in Richtung grüne Lebensweise, sondern auch Entwicklungen wie der Klimawandel werden unser momentanes Wirtschaftssystem vor entsprechend große Herausforderungen stellen. Unternehmen, die das verpassen, werden die Effekte über kurz oder lang zu spüren bekommen und somit wirtschaftliche Potenziale nicht heben.

Was wünscht ihr euch für die Zukunft?

Wir wünschen uns mehr Angebote für wirklich nachhaltigen Konsum – sowohl für Bürger (B2C), als auch für Unternehmenskunden (B2C), denn in letzterem liegt ein noch größerer Hebel. Außerdem hoffen wir, dass wir alle mit kollektiver Intelligenz ausgestattet unseren menschheitlichen Suizid verhindern können. Wir glauben, dass die Menschheit intelligent genug ist, ihr eigenes Bestehen zu ermöglichen und Schluss zu machen mit dem Raubbau an unserer Lebensgrundlage. Wir begreifen uns selbst als Akteure und Business Aktivisten im Sinne dieser Entwicklung.

 

Auch interessant: Insekten – die nachhaltige Snack-Alternative der Zukunft

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

de_DEGerman