Europas Tech-Startup Landschaft unter der Lupe

Dieser Report zeichnet ein holistisches Bild der Startup-Landschaft. Der größte datenbasierte Report über Europas Startups informiert unter anderem über spannende Entwicklungen, Hürden wie die Corona-Pandemie und Gleichberechtigung/Diskriminierung im Bezug auf das Thema Gründung.

“Neu gegründetes Wirtschaftsunternehmen” – So definiert der Duden das Wort “Startup”. In dieser Definition wird allerdings nicht erläutert, wie divers, vielseitig oder stark/schwach im Vergleich zu vorherigen Jahren die Szene ist. Der State of European Tech Report hat durch datenbasierte Analysen aufschlussreiche Erkenntnisse über Tech-Startups ausgewertet. Im Interview erfährst du von Sarah Guemouri  mehr über den State of European Tech Report.

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Gruene-Startups.de: Sarah, bitte stelle den The State of European Tech Report einmal kurz vor.
 
Sarah Guemouri: Der State of European Tech ist der umfassendste, datenbasierte Report zur europäischen Startup- und Tech-Wirtschaft; verfasst von uns (Atomico), Slush, Orrick und unterstützt durch die Silicon Valley Bank. Wir wollen mit dem Report nicht das x-te Zahlenwerk zu Wagniskapitalströmen oder der europäischen Exit-Landschaft auf den Markt bringen. Stattdessen wollen wir ein ganzheitliches Bild der verschiedenen Faktoren des europäischen Tech-Ökosystems zeichnen, die dieses so spannend und einzigartig machen. Und dazu gehören neben den harten Zahlen auch die zahlreichen Geschichten, die Europa zu bieten hat und die es verdient haben, gehört zu werden: etwa über die Erfahrungen zu Gründung im Allgemeinen oder über Gleichberechtigung und Diskriminierung in der Techbranche, missionsgetriebene Unternehmenskultur oder über geistige Gesundheit innerhalb der Startup-Wirtschaft. Jedes Jahr zeigen wir deshalb die größten Herausforderungen der Branche auf, wie beispielsweise die anhaltende Pandemie, und beleuchten spannende Entwicklungen wie die Berücksichtigung von Venture Debt als neues Finanzierungsmodell. Hierfür kombinieren wir eine groß angelegte Umfrage mit den Stakeholdern des Ökosystems – vom Investor bis zum Gründer – sowie quantitative Daten von unseren mehr als 15 Datenpartnern wie Politico, Dealroom oder Invest Europe. Kurzum: Wir wollen das zahlenbasierte Informationsmedium sowie das Stimmungsbarometer für die Startup-Wirtschaft Europas sein.

Noch wichtiger ist uns allerdings, dass wir mit dem State of European Tech Diskussionen und tatsächliche Veränderungen innerhalb der Branche anstoßen. Auch deshalb diskutieren wir die Studie Jahr für Jahr in der breiten Medienlandschaft. Und deshalb setzten wir beispielsweise vor zwei Jahren gemeinsam mit Diversity VC das Diversity ToolKit für GründerInnen auf.
 
Gab es 2019 Besonderheiten der deutschen Tech-Start-Up Szene, im Vergleich zu jenen in anderen europäischen Ländern?

Altbekannte europäische Tech-Zentren wie London, aber auch Berlin, beginnen an Attraktivität für Gründer zu verlieren, denn die Gründung wird vielerorts quer über den Kontinent mehr und mehr vereinfacht. Andernorts sprießen dafür alternative Tech-Hubs aus dem Boden. Davon profitiert Deutschland im Moment enorm. München gehört inzwischen zu den fünf europäischen Top-Technologiezentren. Außerdem zählen Köln, Darmstadt und Stuttgart zu den zehn am schnellsten wachsenden Tech-Hubs auf dem Kontinent.

Generell verfügt Deutschland über eine starke Basis: Hierzulande gibt es mehr professionelle Entwickler als anderswo in Europa; und zwar über 900.000. Setzt man die Investitionssummen in Relation mit der Anzahl der Entwickler, wurde in Berlin europaweit das meiste Kapital pro Entwickler investiert. Fun Fact: Die meisten Entwickler in Deutschland tummeln sich nicht in Berlin, sondern in Frankfurt am Main und Köln.

Aber: Deutsche VCs müssen künftig dringend neue institutionelle Investoren mobilisieren, um ausreichend Kapital für die stetig wachsende deutsche Tech-Szene bereitstellen zu können. Denn Risikokapitalgeber erhielten hierzulande zwischen 2014 und 2018 60 Prozent des Kapitals von Unternehmen oder staatlichen Stellen. Stellt man das eingesammelte Risikokapital in Relation zur Bevölkerung, so sammelten deutsche VCs zwischen 2016 und 2018 durchschnittlich 57 US-Dollar pro Kopf ein. Der europäische Durchschnitt liegt acht US-Dollar höher.

Bild: Unsplash

 
Sind aus dem Report im vergangenen Jahr Länder hervorgegangen, die wir in Zukunft auf jeden Fall auf dem Radar haben sollten?

Gründer wollen neue Unternehmen verstärkt in ihrer Heimat aufbauen. Davon profitieren insbesondere osteuropäische Länder. Der State of European Tech analysiert unter anderem die Anzahl von Tech-Meetups – und wie viele Personen sich an diesen Events beteiligen – als Indikator für die Aktivität und Größe von Startup-Hubs. Wir betrachten Meetups als Indikator für ein zunehmendes Netzwerken und die positive Entwicklung innerhalb eines Hubs. Die jährliche Wachstumsrate dieser Meetups war zum Zeitpunkt des letztjährigen Reports im ukrainischen Charkiw, dem rumänischen Iasi und im türkischen Izmir am höchsten. Sechs der zehn aufstrebenden Tech-Hubs kommen aus Osteuropa.

Außerdem: Finnland entwickelt sich zu einem Hotspot für DeepTech-Startups. Das liegt am – gemessen an der Einwohnerzahl – großen Anteil an technischen Talenten und Spitzenforschern.
 
Im vergangenen Jahr gingen ja 92 Prozent der Investitionen an ausschließliche Männer-Teams. Wieso ist der Frauenanteil so gering?

Zum einen rücken nicht genügend Frauen in Führungspositionen nach: Auf jede Managerin kommen zwölf Männer. Insgesamt ist nicht mal jede fünfte C-Level-Stelle weiblich besetzt. In der Folge ist es für Frauen schwieriger, Führungserfahrungen zu sammeln und dann auch eigene Startups zu gründen.

Zum anderen wird immer klarer, dass der Branche das Problem sehr wohl bewusst – das Interesse an grundlegenden Veränderungen scheinbar jedoch sehr gering ist. Stattdessen sollen Frauen das Problem lieber selbst lösen. Laut State of European Tech legen knapp zwei Drittel der Investorinnen einen größeren Fokus auf diverse Gründerteams. Und sie achten bei der Teilnahme an Events stärker auf die Anwesenheit diverser GründerInnen. Gleiches kann nur jeder Dritte Investor von sich behaupten. Doch Frauen alleine können das Problem nicht lösen. Erst recht nicht, da Wagniskapitalgeber die Anzahl der Investorinnen im letzten Jahr nicht erhöhten.

Eines ist auf jeden Fall klar: Es ist keine Ausrede mehr, dass angeblich zu wenige Frauen MINT-Fächer studieren und für die wichtigen technischen Berufe nicht in Frage kommen. Im europäischen Mittel liegt der Anteil weiblicher Wissenschaftlerinnen und Ingenieurinnen bei 41 Prozent.
 
In welche Richtung entwickelt sich das?

Das lässt sich schwer abschätzen. Im letzten Report betonte die Mehrheit der Investoren, Veränderungen für mehr Gleichberechtigung und Diversität angestoßen zu haben. In den finalen Zahlen war dies im Report dann aber nicht erkennbar. Wir erwarten deshalb eine schrittweise zunehmende Wahrnehmung dieser Veränderungen. Auch deswegen legen wir im diesjährigen Report wieder große Aufmerksamkeit auf Inklusion und Vielfalt. Wir wollen weiter den Einfluss der angestoßenen Maßnahmen der Branche festhalten und evaluieren, wie weit diese bereits Früchte getragen haben und wo die Reise hingeht.

Es gibt jedoch auch schon einen kleinen Einblick bezüglich positiver Veränderungen. Im Bereich Quantum Computing gründeten gemischte oder ausschließlich weiblicher Gründerteams jedes vierte Startup. Das ist mehr als das doppelte des europäischen Durchschnitts der Branche von 13 Prozent.
 
Was sagt der Report über nachhaltige, grüne Start-Ups?

Purpose-driven, also werte- oder missionsgetriebene Startups sind großer Bestandteil des Reports. Wir betrachten jedoch nicht nur ökologische Startups, sondern auch Unternehmen, die sich einigen der größten Herausforderungen der Menschheit verschrieben haben. Etwa in den Bereichen Bildung, Ernährung oder Gesundheit. Hierzu nehmen wir die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) der UN zur Hilfe und analysieren Unternehmen, die eines oder mehrere dieser SDGs in den Mittelpunkt ihrer Daseinsberechtigung stellen.

Und hier zeigt unser Report: Missionsgetriebenes Unternehmertum hat das Potenzial für ein Alleinstellungsmerkmal, ein USP, der europäischen Startup-Wirtschaft. Denn 2019 sammelten diese wertegetriebenen Entrepreneure 4,4 Milliarden US-Dollar Wagniskapital ein. Damit steigerten sie ihr Risikokapital in den vergangenen fünf Jahren um das sechsfache und sind nun die größten Rezipienten von Kapital nach SaaS-Startups und FinTechs in Europa. Insgesamt unterstützten Wagniskapitalgeber über 500 wertegetriebene Unternehmen in den vergangenen Jahren.

Bild: Atomico

Und unter den missionsgetriebenen Unternehmern stechen besonders Startups aus dem Bereich Climate Action und Affordable and Clean Energy heraus. Diese erhielten in den vergangenen fünf Jahren insgesamt über fünf, beziehungsweise über 4,4 Milliarden US-Dollar VC-Kapital.
 
Was erwartet ihr vom diesjährigen State of European Tech Reports? Denkt ihr, die Start-Ups leiden sehr unter den Folgen der Corona-Pandemie?

Es ist derzeit enorm schwierig, mit einem schnellen Ja oder Nein aus der Hüfte zu schießen. Denn auf der einen Seite erhielten Startups wie Lilium oder Infarm enorme Finanzierungsrunden und der Markt für IPOs brummt, wie die Beispiele Snowflake aus den USA und The Hut Group aus Europa zeigen. Andererseits hat Covid-19 immense Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft – und somit auch auf die Startup-Szene.

Deswegen ist es wichtig, umfassende und zahlenbasierte Studien wie den State of European Tech aufzustellen.

Wir sind immer noch dabei, die wirtschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus umfassend zu verstehen. Hier bedarf es, je nach Entwicklung, kontinuierlicher Anpassung der Herangehensweisen. Letztlich werden uns nur fundierte Zahlen und Fakten helfen, ein klares Bild der Startup-Wirtschaft zu zeichnen.
 

Bild: Atomico

Über die Interviewpartnerin: Sarah Guemouri ist Senior Associate bei Atomico und Co-Autor des State of European Tech. Im Laufe ihrer Karriere hat sie unter anderem Erfahrungen im Investmentbanking bei J.P. Morgan in London und in Private Equity bei BNP Paribas in New York gesammelt. Bevor sie zu Atomico wechselte, verantwortete Sarah das Mobile Strategy Consulting bei App Annie und unterstützte beim Business Development im EMEA Sektor. Auch in diesem Jahr beleuchtet der Report die Entwicklung des europäischen Tech-Ökosystems und die Rolle missionsgetriebener Startups und Gründer. Die Umfrage zum State of European Tech läuft jetzt.

 

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