foodsharing Festival 2016. © foodsharing

Alle neun Stunden werden in Deutschland mehr als 10.000.000 Kilo Essen weggeschmissen

In den fünf Jahren seit Gründung hat foodsharing mit 250 Gruppen mehr als 10 Millionen Kilo Essen gerettet – etwa soviel, wie alle neun Stunden in Deutschland weggeschmissen wird. Manuel Wiemann von foodsharing im Interview.

23.06.2017

Würdest du uns foodsharing kurz vorstellen und die bisherige Entwicklung schildern?

In Deutschland landet die Hälfte der Lebensmittel auf dem Müll – was unverantwortlich ist angesichts von Hungerkatastrophen im Globalen Süden und vieler Geflüchteter und anderer armer Menschen auch in Deutschland. foodsharing ist eine Organisation, die sich dafür einsetzt, diesen Verschwendungswahn zu reduzieren.

Mitmachen können dabei alle: Beispielsweise indem Du das Essen, was bei Dir übrig geblieben ist, in sogenannte „Fair-Teiler“ bringst. Das sind öffentliche Regale und Kühlschränke, zu denen Privatpersonen kostenlos Nahrungsmittel bringen oder abholen können. Wo diese Kühlschränke in Deiner Nähe sind, steht unter foodsharing.de, dort kannst Du auch einen „Essenskorb“ erstellen: Dann kommen Interessierte zu Dir nach Hause und holen das Gemüse, Brot, die Milch o.ä. direkt ab. Dadurch bieten wir Privathaushalten die Möglichkeit, weniger zu verschwenden: Denn diese sind für fast 40% der Abfälle verantwortlich.

Entstanden ist foodsharing primär mit dem Ziel, die Lebensmittelverschwendung bei Restaurants, Supermärkten und anderen Betrieben zu reduzieren. Bei diesen holen foodsharing-Freiwillige unverkäufliche Nahrungsmittel ab und verschenken sie weiter, um den LEBENS-Mitteln wieder ihren Wert zu geben. Auch dafür freuen wir uns über Dein Engagement! Diese Abholungen machen wir seit 2012 und sind rasant gewachsen, da das Thema viel Betroffenheit und Interesse auslöst: Inzwischen gibt es über 250 foodsharing-Gruppen, die mehr als 10 Millionen Kilo Essen gerettet haben! (Stand 06/2017)

Das ist eine unvorstellbar große Menge an verschwendetem Essen. Das erschreckende daran: In Deutschland landet alle 9 Stunden die gleiche Menge im Müll, die foodsharing in fünf Jahren gerettet hat! Gegen diese riesige Verschwendung an Lebensmitteln setzen wir uns ein, indem wir vor allem auf Aufklärung setzen: Personen, die mit foodsharing durch Fair-Teiler o.ä. in Berührung kommen, denken beim nächsten Wegwerfen von Lebensmitteln darüber nach: Musste das sein? Oder fragen an der Supermarktkasse: „Was machen Sie mit unverkäuflichen Lebensmitteln?“ – um dann ggf. beim nächsten Mal in einem anderen Betrieb einzukaufen, der verantwortungsbewusster handelt. Dadurch wollen wir langfristig die Verschwendung reduzieren.

Wie und von wem wird Euer Angebot genutzt und ist ein gesteigertes Interesse erkennbar?

Alle sind eingeladen, bei foodsharing mitzumachen – ob als „Foodsharer“, der Lebensmittel teilt, oder sogar als „Foodsaver“, der sie rettet und verteilt. Auch beim Verteilen prüfen wir nicht, ob Personen bedürftig sind: Es wird so viel entsorgt, dass wir allen Menschen Essen geben. Jenseits des Umweltschutzes befördert foodsharing den Austausch unterschiedlicher sozialer Gruppen.

Was waren die bisher größten Herausforderungen für foodsharing?

Seit der Gründung ist foodsharing enorm gewachsen, inzwischen gibt es 27.000 Freiwillige. Da gab es immer Mal Herausforderungen, diesen Ansturm zu managen. Das größte Problem liegt allerdings außerhalb: Wir haben momentan Herrn Schmidt (CSU) als Landwirtschaftsminister, der sich nicht damit rühmt, die Verschwendung aktiv zu reduzieren. Er konzentriert sich einseitig auf Privathaushalte und lässt dabei wichtige andere Akteure außer Acht. Beispielsweise fordern wir einen „Wegwerfstopp für Supermärkte“ wie in Frankreich: Supermärkte müssen unverkaufte Lebensmittel spenden, anstatt sie wegzuwerfen. Ein solches Gesetz blockiert Schmidt, obwohl es von weiten Teilen der Bevölkerung getragen wird und nahezu alle von Supermärkten entsorgten Nahrungsmittel noch genießbar sind.

Glaubst du, man kann die Konsumgewohnheiten der Menschen langfristig ändern? Welche Rolle können grüne Startups hierbei spielen?

Ja, ich glaube dass Menschen sich verändern können – es handelt sich dabei jedoch um einen langen, gesellschaftlichen Prozess. Dafür braucht es meiner Auffassung nach verbesserte Rahmenbedingungen, wie z.B. eine Veränderung des Mindesthaltbarkeitsdatums. Schon diese Bezeichnung ist irreführend, da sie suggeriert, die Lebensmittel seien ab diesem Datum nicht mehr essbar, was nicht stimmt: Es handelt sich lediglich um ein Garantiedatum handelt. Darüber hinaus sehe ich Bildungsarbeit für junge Generationen und Öffentlichkeitsarbeit für ältere Generationen als essentiell an, um das Bewusstsein bezüglich Lebensmittelverschwendung zu schaffen.

Vor diesen langfristigen Verankerungen in gesellschaftlichen Strukturen braucht es Menschen, die mit gutem Beispiel voran gehen und zeigen: Es geht auch anders! Gerade gründen sich viele Startups im Bereich der Lebensmittelverschwendung: Beispielsweise Restaurants, die gerettete Lebensmittel verarbeiten oder Unternehmen, die altes Obst zur Haltbarkeit dörren. Diese Startups machen Menschen auf die Problematik aufmerksam und zeigen Alternativen auf.

Werden wir in Zukunft wirklich mehr teilen und weniger verschwenden? Was würde das für die Wirtschaft bedeuten?

Es werden gerade deutlich mehr Lebensmittel produziert, als die Weltbevölkerung benötigt. Davon wird weltweit jedoch 1/3 verschwendet. Selbst wenn wir also alle Lebensmittel gerecht verteilen, produzieren wir immer noch mehr als wir benötigen. Die (Land-)Wirtschaft muss langfristig regionaler, ökologischer werden und schrumpfen – was unserem Planeten gut tun wird, da wir momentan die Ressourcen von 1,5 Erden verbrauchen! Nebenbei ein erschreckender Fakt: Wäre Lebensmittelverschwendung ein Land, wäre es der drittgrößte Klimasünder der Welt – nach China und den USA!

Dein Insidertipp: Welches grüne Produkt hat Dich zuletzt fasziniert?

Knödel im Glas! Das Startup „Knödelkult“ macht neuerdings aus gerettetem Altbrot Knödel im Glas. In Bäckereien wird ca. 25% zu viel Brot produziert: Dieses weiter zu verarbeiten finde ich eine wunderbare Idee! Die gibt’s übrigens nicht nur in der klassischen Variante, sondern auch als „Karotte-Walnuss“ – ich bin schon sehr gespannt auf die erste Lieferung!

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